Ausgrabungen in der evangelischen Kirche zu Lienen in den Jahren 1994–1995
von Thomas Pogarell, Grabungstechniker
Vor Beginn der Renovierungsarbeiten im Inneren der Kirche wurden vom Westfälischen Museum für Archäologie und dem Amt für Bodendenkmalpflege in Münster archäologische Grabungen im Bereich des Turms und des westlichen Kirchenschiffs durchgeführt. Sie dauerten von Oktober 1994 bis Februar 1995 und brachten einige überraschende Erkenntnisse, über die der Grabungstechniker Thomas Pogarell in der Festschrift zur Wiedereröffnung der Kirche nach Abschluss der Renovierung berichtet.
Alle Abbildungen in diesem Artikel und in der nachfolgenden Fotogalerie stammen von: LWL-Archäologie für Westfalen/Thomas Pogarell.
Die bevorstehenden Bauarbeiten zur Renovierung der evangelischen Kirche erforderten und ermöglichten eine archäologische Untersuchung des Untergrundes im westlichen Teil des Kirchenschiffs aus dem 19. Jahrhundert und im Innenraum des romanischen Turms. Ausgeführt wurden diese Untersuchungen von zwei Mitarbeitern des Westfälischen Museums für Archäologie/Amt für Bodendenkmalpflege, Fachreferat Mittelalter in Münster. Sie galten der Frage nach Größe und Gliederung der ursprünglich zum heute noch stehenden Turm gehörenden romanischen Kirche.
Nach der Entfernung des modernen Fußbodens und der dazu gehörenden Unterfütterung zeigten sich bereits in einer Tiefe von 0,50 m die ersten archäologischen Befunde. Sie bestanden aus vier älteren, übereinander liegenden Fußböden, wovon der oberste Plattenfußboden durch Münzfunde in das 16.–18. Jahrhundert datiert werden konnte. Die drei darunter liegenden Fußböden, zuunterst wiederum ein Plattenboden aus grau-schwarzen Steinen in Mörtel verlegt, darüber zwei dünne Kalkmörtelestriche, konnten dem romanischen Kirchenschiff zugeordnet werden. Alle vier Fußböden wiesen durch langes Begehen starke Abnutzungsspuren auf. Die Nord- und die Südwand der Kirche des 12. Jahrhunderts konnten nur noch in Resten dokumentiert werden. So zeigte sich die südliche Langhauswand lediglich als Ausbruchgrube mit sehr geringen Fundamentresten im Boden und den heranziehenden Fußböden, die hier eine gerade Abschlusskante bildeten. Die nördliche Langhauswand hingegen konnte durch das noch erhaltene Fundament mit einer Breite von 0,90 m nachgewiesen werden. So ließ sich die lichte Weite des romanischen Kirchenschiffes mit einer Breite von 5,80 m genau ermitteln. Dieser Befund war über eine Länge von 9,00 m zu beobachten. Über die Gesamtlänge des Kirchenschiffs und die Gestalt des Chores kann noch keine Aussage getroffen werden, da die ausgehobene Baugrube auch nur 9 m lang war. Der Zugang zu der romanischen Kirche erfolgte von Norden aus, wie es eine 1,40 m breite Unterfütterung aus Kalkbruchsteinen an der Nordwand belegt.
Nachdem der Wandputz an der zum Turm gehörenden Wand entfernt wurde, zeigte sich bereits der ehemalige Zugang zum Erdgeschoss. Ein romanischer Rundbogen zeichnete sich deutlich erkennbar auf der Wand ab. Nachdem auch die neuzeitliche Zumauerung zur Hälfte entfernt war sah man, dass der romanische Zugang zum Turm ursprünglich durch eine Doppelsäule unterteilt war, wie ein mittig unter dem Bogen gelegenes Fundament belegt. Eine noch erhaltene 0,15 m tiefe Stufe im Durchgang zum Turm deutet darauf hin, dass man in den Turm hinunter ging. Der heutige südliche Zugang wurde erst später angelegt, vermutlich zeitgleich mit der Zumauerung des romanischen Rundbogens. Eine Brandschutt-Schicht und auch Brandspuren am aufgehenden Mauerwerk zeugen von einem zeitlich nicht genau einzuordnenden Feuer im Turm. Unter dieser Brandschuttschicht befanden sich, wie auch schon im Vorjahr im Kirchenschiff ergraben, zwei übereinander liegende Mörtel-Estriche. Der ältere Fußboden war an mehreren Stellen durch Grabgruben durchschnitten. Die Gräber wurden der Reihe nach, das jüngste zuerst, aufgedeckt und dokumentiert, wobei das Grab eines Jugendlichen eine Besonderheit aufwies. Unter der rechten Hand fand sich eine Münze, ein sogenannter Halbbrakteat, aus Ostsachsen, der in der Zeit um 1140 geprägt wurde. Die Mitgabe einer Münze als "Charonspfennig" ist im Hochmittelalter in unserer Region sehr außergewöhnlich, da es sich um einen heidnischen Brauch handelt und zu dieser Zeit nur noch im slawisch besiedelten Bereich vorkommt. Ein deutlicher Hinweis auf die Herkunft des Verstorbenen oder seiner Familie!
Auf dem untersten Bestattungshorizont wurden vier Gräber freigelegt, die eindeutig nicht zu der romanischen Kirche gehören, da diese eine andere Ausrichtung haben und von dem 1120 errichteten Turm überbaut wurden. Sie gehören zu einem älteren Friedhof, der nun auch einer frühen Kirche, vor dem 12. Jahrhundert errichtet, zugeordnet werden muss. Dieser Vorgängerbau dürfte sich unter dem heutigen Kirchenschiff befinden. Er wurde bewusst im ersten Grabungsabschnitt nicht ergraben, da die tieferliegenden Befunde durch die geplanten Baumaßnahmen, die lediglich 0,50 m in den Boden eingriffen, nicht gefährdet waren.
Der Kirchengemeinde Lienen gebührt nun an dieser Stelle unser besonderer Dank, da sie die archäologischen Untersuchungen stets mit großem Interesse verfolgten und uns jederzeit auch hilfreich zur Seite standen.
Besonders lobenswert ist hier, dass einige sehr interessante archäologische Baubefunde bei der anschließenden Renovierung und Neugestaltung nicht wieder unter dem neuen Fußboden oder Wandputz verschwanden, sondern für alle zukünftigen Besucher der Kirche kenntlich gemacht wurden. Auch die ausgegrabenen Fundstücke sind, nachdem sie restauriert und wissenschaftlich ausgewertet wurden, an den Fundort nach Lienen zurückgekehrt und in einer eigens neu errichteten Vitrine in der Kirche ausgestellt. Zudem ermöglichte die Kirchengemeinde die Veröffentlichung der Ergebnisse der Ausgrabung in einer eigens hierfür gedruckten Broschüre.
Weitere Aufnahmen von den Ausgrabungen
Die Fotos stammen wie der obige Artikel von: LWL-Archäologie für Westfalen/Thomas Pogarell. Sie sind nach Aufnahmedatum sortiert, so dass der Fortschritt der Grabungen nachvollzogen werden kann.
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