Zur Geschichte des Ev. Sozialseminars Lienen

Im Jahr 1956 wurde in Villigst der Vereins Evangelischer Sozialseminare in Westfalen gegründet, der sich die "Unterrichtung über gesellschaftliche Aufgaben auf der Grundlage evangelischer Sozialethik" zur Aufgabe gemacht hatte. Schon vier Jahre später schloss sich das "Evangelische Sozialseminar Lienen" diesem Verband an, so dass 2010 das fünfzigjährige Bestehen begangen werden konnte. Aus diesem Anlass wurde von Vera Neumann, Jürgen Fischer und Stefan Monka eine Dokumentation zur Geschichte dieser Institution zusammengestellt, die das dörfliche Leben über Jahrzehnte prägte und auch nach der Auflösung des übergeordneten Trägers in Villigst im Jahr 2018 in eigener Regie weitergeführt wurde. Die ersten beiden Teile des folgenden Textes basieren auf der oben genannten Dokumentation.

 

Vorlauf und Gründung des Sozialseminars

Bereits 1958 fand im Februar eine „Woche des Dorfes" statt. Über zehn Tage hinweg gab es Themenabende, die sich an die Lienener Bevölkerung richteten. Das Ziel war, „dass die in unserem Dorf lebenden Menschen miteinander ins Gespräch kommen", über „die Aufgaben, die wir aneinander zu lösen haben, über die Hilfe, die wir einander zu leisten haben, über das Verstehen, das wir einander entgegenzubringen haben."

Verschiedene Themen wurden vom Gemeinderat und der Verwaltung der Gemeinde Lienen, von Vereinen, Lehrerschaft und Presbyterium angeboten: „Viele Vereine - ein Dorf": „Alte Heimat - neue Heimat"; „Alt und Jung" waren einige Themen. Es wirkten mit: der Musikverein, der Männergesangsverein, die Volkstanzgruppen des Heimatvereins und der Landsmannschaften. Kirchenchor, Posaunenchor, CVJM und Mädchenkreis. Am 17.11.1959 trafen sich in der Gemeindeverwaltung Lienen Vertreter der Kommunalgemeinde, der beiden Kirchengemeinden, des Heimatvereins und des Bundes der Vertriebenen, um über die Bildung eines Gremiums für die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen in der Gemeinde Lienen zu beraten und die Bildung der Kulturgemeinschaft Lienen zu beschließen. Als erster Vortrag wurde festgelegt: Sonntag. 14. Februar 1960: „Nansen, Entdecker der Arktis, Retter der Kriegsgefangenen, Vertriebenen und Hungernden", Dozent: Erhard Krieger aus Hösel bei Düsseldorf.

Laut persönlicher Kalendernotizen konstituierte sich am 8.10.1960 das Sozialseminar. Zu diesem Zweck fand in der Gaststätte Jägerhof eine Versammlung statt, zu der Pastor Dr. Wilkens als Vorsitzender des Presbyteriums ca. 70 Personen geladen hatte. Frau Dr. Bänke vom Verein Evangelischer Sozialeminare in Westfalen, mit Sitz in Villigst bei Schwerte, erläuterte Sinn und Ziel eines Sozialseminars. Die Gründung des Sozialseminars Lienen wurde beschlossen. Geschäftsführer wurde Pastor Dr. Wilkens, Studienleiter wurde Werbeberater Walter Hoffmann. Vorsitzender des Kuratoriums Pastor Klaus Gronenberg. Die erste Kuratoriumssitzung fand am 13.10.1960 statt. Aufgabe des Kuratoriums war die Aufstellung des Themenplans. Aus dem sich über vier Semester erstreckenden Studienplan des Vereins Evangelischer Sozialseminare wählte das Kuratorium für das l. Semester elf Themen aus. Mit Schreiben vom 20.10.1960 wurde schriftlich eingeladen. Die Teilnehmenden mussten sich für 10 DM für ein ganzes Semester einschreiben und an jedem Veranstaltungsabend ihre Anwesenheit dokumentieren.

 

Weiterentwicklung

Die Überschriften der ersten Semester verdeutlichen die gesellschaftliche Relevanz der behandelten Themen: Es ging zum Beispiel um "Das gesellschaftliche und kirchliche Leben in unserer Gemeinde", "Betrieb und Gemeinschaft", "Mächte in der Gesellschaft" und "Staat und Kirche". Dabei beschränkte man sich keineswegs auf die Einladung sachkundiger und prominenter Referenten – unter anderem waren 1964 der Kirchenpräsident D. Martin Niemöller und der spätere Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, zu Gast –, auch Studienfahrten wie zum Bundeshaus nach Bonn mit einer Teilnahme an einer Plenarsitzung des Bundesrates, zu den Chemischen Werken Marl-Hüls oder in das Zonengrenzgebiet standen auf dem Programm. Semesterüberschriften in den folgenden Jahren wie "Miteinander – Füreinander: Liebe, Ehe Eltern, Kinder" lassen andere Schwerpunktsetzungen erkennen.

Im Jahr 1965 wurde auf Beschluss des Kuratoriums ein eigenes Jugendseminar eingerichtet. Hier standen Themen wie "Freundschaft – Liebe – Ehe", "Meine Umwelt und ich" oder "Jugend und Politik" im Vordergrund. Die Frage "Nach uns die Sintflut?!" war so gravierend, dass sie die Teilnehmer in zwei aufeinander folgenden Jahren beschäftigte.

Ab Mitte der siebziger Jahre wurde die Trennung nach Altersgruppen wieder aufgegeben, und nur noch ein "Evangelisches Sozialseminar für Jugendliche und Erwachsene" durchgeführt, wobei sowohl die Themen als auch die Struktur der Seminarabende mit Zweiteilung in Referat und Diskussion ähnlich blieben.

Das Kuratorium ist stolz darauf, dass trotz mancher Schwierigkeiten die Evangelische Kirchengemeinde Lienen neben der Evangelisch-Lutherischen Versöhnungs-Kirchengemeinde Jöllenbeck als eine von nur noch zwei Gemeinden in Westfalen versucht, bei ihren Mitgliedern die "Bereitschaft zu wecken und sie dazu zu befähigen, die Verantwortung der Christen bei der Gestaltung der Welt wahrzunehmen". (Verein Evangelischer Sozialseminare von Westfalen e.V., Konzeption politischer Bildung, 1976)

 

Themen der letzten Jahre

In den vergangenen Jahren hat sich das Sozialseminar mit sehr vielen verschiedenen gesellschaftsrelevanten Themenfeldern befasst. Unter der Überschrift „Soziale Zukunft@Lienen“ berichtete zum Beispiel der bekannte Sozialforscher Dr. Christoph Butterwegge über die Armut in Deutschland, einem eigentlich reichen Land. In diesem Zusammenhang war auch der Abend zum Bedingungslosen Grundeinkommen sehr spannend. Weitere Themen waren "Gemeinwohl-Ökonomie, Ethik des Genug, Ehrenamt, Lebensmittelverschwendung" und "Banken/Geldwirtschaft". Einen weiteren Schwerpunkt bildeten mehrere „Besuche bei Freunden“, bei denen andere Religionsgemeinschaften besucht und kennen gelernt wurden.

Unter der Überschrift „Energie@Lienen“ befasste sich das Sozialseminar unter anderem mit dem Klimawandel, mit Lust und Last der Energiewende, dem Zukunftskreis Steinfurt, und zuletzt war Klaus Mindrup, MdB aus Berlin und gebürtiger Lienener, zum Thema „Klimaschutzgesetz“ zu Gast. Auch die Themen "Asyl und Zuwanderung" beschäftigten uns an mehreren Abenden.

Die Landwirtschaft war ebenfalls ein wichtiger Schwerpunkt: In Kooperation mit dem landwirtschaftlichen Ortsverband Lienen war dabei die Überlegung zielführend, gemeinsam mit  regionalen Landwirten über Wege aus dem „Wachse oder Weiche – Immer mehr und billiger“ zu suchen. Mehrere Abende hatten Themen rund um Sterben, Bestattung und Trauer zum Gegenstand.

In der Themenreihe „Zukunftswerkstatt“ fanden Vortragsabende zur Postwachstumsökonomie, zum Konzept „Das Neue Dorf“, zu der RegionalWert AG, der Grundwassersituation im Kreis Steinfurt, zum Umgang mit dem Wolf, der Vollgeldinitiative, zu Künstlicher Intelligenz, Bürgerräten als innovativer Form der direkten Demokratie und Carsharing auf dem Land statt. Zuletzt befassten wir uns mit der Herkunft unserer Kleidung und deren Herstellungsprozessen. In Planung sind ein Abend zum Renovieren mit ökologischen Baustoffen und ein Besuch in der Klimakommune Saerbeck (Stand: Februar 2020).

Das Kuratorium arbeitet ehrenamtlich. Interessierte an der Mitarbeit in diesem Gremium können sich gerne bei den beiden Kirchengemeinden in Lienen und Kattenvenne melden. Auch wenn es schon wieder viele Ideen für zukünftige Veranstaltungen gibt, werden Hinweise auf spannende Themen und Referenten jederzeit gerne entgegengenommen.

Informationen zu den aktuellen Veranstaltungen des Sozialseminars finden Sie auf der Startseite unter "Nachrichten aus unserer Gemeinde" und in der Tagespresse. Darüber hinaus können Sie sich unter info@sozialseminar-lienen.de in einen Verteiler eintragen, in dem Sie über Aktuelles zum Thema "Sozialseminar Lienen" per Mail informiert werden.

 

Derzeitiges Pausieren der Seminarveranstaltungen

Im Oktober 2022 fand die vorläufig letzte Veranstaltung des Sozialseminars statt. Da es immer schwieriger wurde, die personellen und finanziellen Ressourcen für ein erfolgreiches Arbeiten bereitzustellen, entschloss sich die Planungsgruppe, bis auf Weiteres keine Seminarabende oder Exkusionen anzubieten. Ob bei veränderten Voraussetzungen die Arbeit wieder aufgenommen werden kann, bleibt abzuwarten.